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Jahrbuch Ehingen 2015 43

42 Jahrbuch Ehingen 2015

Juni 2015

anderen habsburgischen Landen. Durch ihre Tätigkeit als

sonntägliche Prediger in St. Blasius sowie als Betreuer der

Wallfahrt zum Gnadenbild in der Liebfrauenkirche waren sie

bezüglich der Mentalität der Ehinger sicher von erheblichem

Einfluss.

Wenn wir heute von Zuwanderung sprechen, sind im

besonderen Maße die Umwälzungen im Zusammenhang mit

dem Zweiten Weltkrieg gemeint, dessen Ende sich in diesem

Jahr zum 70sten Mal jährt.

1950 zählten Ehingen und seine heutigen Teilorte

insgesamt 14 608 Einwohner, von denen 1580, also rund

11 %, Vertriebene waren. In der Kernstadt stammten

sie überwiegend aus der früheren Tschechoslowakei,

Jugoslawien sowie dem ehemaligen Freistaat Danzig.

Später zog ein Großteil der Vertriebenen, der ursprünglich in

den Teilorten gewohnt hatte, in die Kernstadt, so dass sich

bis 1961 hier weitere fast 1600 Vertriebene und Flüchtlinge

ansiedelten.

Einen erheblichen Bevölkerungszuwachs bedeutete auch

der seit 1970 wachsende Zuzug von Gastarbeitern, die

mehrheitlich aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus der

Türkei, Griechenland und Italien kamen. Bis 1980 stellten

sie immerhin fast 14 % der Bevölkerung, bevor ihr Anteil bis

1987 auf 11,3 % zurückging.

Für einen weiteren nicht unbedeutenden Bevölkerungs-

zuwachs sorgte dann nach 1989 die Öffnung des Eisernen

Vorhanges, als zahlreiche deutschstämmige Familien aus

Staaten der ehemaligen UDSSR auch nach Ehingen kamen.

Die allermeisten der in den letzten Jahrzehnten Zuge-

wanderten sind längst integraler Bestandteil der Bevölke-

rung, der aus dem Leben unserer Stadt nicht mehr

wegzudenken ist.

Aktuell hat unsere Stadt mit 25.500 mehr Einwohner als je

zuvor.

Wir sind ein starker Wirtschaftsstandort in einer prospe-

rierenden Region, erwirtschaften ein hohes Sozialprodukt

und freuen uns über gute Steuereinnahmen.

Und: Wir leben in Frieden und Freiheit imGegensatz zu vielen

von den Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen.

Derzeit haben wir 120 Asylbewerber/Flüchtlinge aufge-

nommen. Möglicherweise kommen in den nächsten Monaten

noch welche dazu.

Ein Teil davon hat berechtigte Gründe hierbleiben zu dürfen.

Geben wir Ihnen die Chance dazu, soviel Menschlichkeit und

Verständnis müssen und können wir uns leisten.

Frieden und Freiheit, der Schutz des Menschen und

seiner Würde sowie Toleranz im Zusammenleben sind

Wertvorstellungen, die auch in Zukunft unser Handeln prägen

und Verpflichtung bleiben sollten.

Zum Ende des Zapfenstreichs hören wir wieder den Klang

der Glocken unserer Stadtpfarrkirche. Blicken wir dabei

dankbar auf Erreichtes und hoffnungsvoll auf Kommendes.“

Großer Zapfenstreich

Vor großem Publikum gab es ein beeindruckendes

Zeremoniell am Vorabend von Fronleichnam. Der

Musikzug, unter der Leitung von Thomas Wieser und der

Spielmannszug mit Tambourmajor Jürgen Zeller sowie

die drei Züge der historischen Wehr marschierten in den

Marktplatz ein. Der Kommandant der Bürgerwache Josef

Stocker begrüßte die Bürger und Ehrengäste. Erstmals war

die neue Bundesabgeordnete Ronja Schmitt zum Großen

Zapfenstreich geladen. Dankende Worte widmete Stocker

unter anderem dem Multinationalen Kommando Operative

Führung aus Ulm, das nun im elften Jahr der Patenschaft mit

einem Ehrenzug teilgenommen hat. Auch Oberbürgermeister

Alexander Baumann dankte der Ehinger Bürgerwache für

ihr Engagement. In seiner Rede ging er außerdem auf die

Zuwanderung und den Aufenthalt von Flüchtlingen in Ehingen

ein. Er bat die Bürgschaft, den derzeit 120 Asylbewerbern

eine Chance zu geben, um hier in Würde und Schutz zu

leben.

Besonders verdiente Mitglieder wurden an diesem Abend

von Kommandant Josef Stocker ausgezeichnet. Berthold

Wiedmaier und Karl Bayer erhielten für ihr jahrelanges

Engagement bei der Bürgerwache Ehingen die Markus-

Engelhart-Medaille. Nachdem Oberbürgermeister Alexander

Baumann und Kommandant Josef Stocker die Reihen am

Marktplatz abgeschritten sind, klang der Große Zapfenstreich

mit gemeinsamem Gesang der deutschen Nationalhymne

aus.

Auszug aus der Rede des Oberbürgermeisters am Abend

des Großen Zapfenstreichs:

„Und weil es eben nicht überall auf unserer Welt Frieden,

Freiheit und Wohlstand gibt, müssen auch wir in Europa, in

Deutschland und auch ganz konkret in Ehingen uns mit den

Konsequenzen daraus auseinandersetzen.

Zu den aktuellen gesellschaftlichen Themen gehören deshalb

Zuwanderung und

Aufenthalt und Unterbringung von Flüchtlingen

Aber ist das wirklich nur ein Thema unserer Zeit?

Mit einem kleinen Blick auf die lange Geschichte unseres

Raums und unserer Stadt kann man unschwer feststellen,

dass Zu- und Abwanderung über die Jahrhunderte immer

wieder eine bedeutende Rolle gespielt haben.

Schon in der Römerzeit siedelten sich im Gefolge der

Militäreinheiten bald die Familien der Soldaten an. Hinzu

kamen Handwerker und Händler für die Versorgung mit

Verpflegung, Ausrüstung und Dienstleistungen.

Um 260 nach Christus dürften dann nach und nach Gruppen

von Alamannen zugewandert sein.

Genauer fassbar wird die Veränderung in der

Zusammensetzung der Bevölkerung auf Grund der

Quellen allerdings erst für die Zeit des 30jährigen Krieges.

Kirchenregister, aber auch chronikalische Nachrichten

belegen, dass insbesondere die ungeschützte Bevölkerung

auf dem Lande durch Kriegseinwirkungen, seien es

Gewalttaten oder die oft nachfolgenden Seuchen, vielfach

halbiert wurde. Erst im Verlauf mehrerer Jahrzehnte konnte

der Vorkriegsstand wieder erreicht werden.

Zahlreiche Zuwanderer, insbesondere aus benachbarten

Schweizer und Österreichischen Landen, die vom Krieg und

seinen Folgen völlig oder wenigstens weitgehend verschont

geblieben und tendenziell überbevölkert waren, fanden in

den verwüsteten und entvölkerten Gebieten auch unseres

Raumes eine neue Heimat.

Bei der Steuerung der Zuwanderung in die Stadt

spielten insbesondere wirtschaftliche Überlegungen eine

entscheidende Rolle. Die Vertreter der Zünfte im Magistrat

waren vor allem darauf bedacht, dass die Lebensgrundlage

ihrer Zunftmitglieder nicht durch zu viele Meister eines

Handwerks beeinträchtigt würde und verhinderten daher

manche Aufnahme ins Bürgerrecht.

Andererseits förderte die Einbindung in das umfassende

Habsburger Reich die Weltoffenheit unserer Stadt und ihrer

Bewohner.

So richteten sich auch die österreichischen Gebiete

Schwabens auf die großen städtischen Zentren der

Monarchie aus. Und so gingen – um ein Beispiel zu nennen

- Ehinger Handwerkersöhne im Zuge der vorgeschriebenen

Wanderschaft nach Wien oder Prag und lernten dort neue

Techniken kennen und erfuhren was aktuell Mode war.

Eine ganze Reihe dieser aufstrebenden Handwerker kehrte

dann allerdings nicht mehr in ihre Vaterstadt zurück. Sie

blieben, in der Hoffnung dort aufgenommen zu werden, an

einem für sie zunächst fremden Ort.

Unsere Stadt erfuhr durch Zuwanderung wichtige Impulse,

deren Spuren noch heute sichtbar sind.

Vermögende Handelsleute ermöglichten Investitionen

insbesondere im kirchlichen Bereich.

Zur - sicher gelegentlich erzwungenen - Offenheit der Stadt

und ihrer Bewohner trug zweifellos das auch ständige

Kommen und Gehen der hohen Beamten bei, die im Dienste

des Landesherrn im öffentlichen Leben der Stadt den Ton

angaben.

In diesem Zusammenhang sind etwa die Statthalter als

Vertreter des Stadtherrn zu nennen.

Andererseits hatten die Spitzen der Ehinger städtischen

Verwaltung durch ihre Tätigkeit bei den Schwäbisch-

Österreichischen Landständen über den städtischen

Tellerrand hinauszusehen.

Auch die Verlegung der Kanzlei des Kantons Donau der

Schwäbischen Reichsritterschaft mit ihrem nicht nur juristisch

hochqualifizierten Personal 1690 von Ulm nach Ehingen,

brachte der Stadt neben bedeutenden wirtschaftlichen

Vorteilen weiteren Zuwachs an Zentralität und Weltläufigkeit.

Nicht unterschätzt werden darf darüber hinaus die Rolle des

seit 1638 auf Betreiben der Landesherren hier ansässigen

Franziskanerkonvents.

Organisatorisch der Tiroler Ordensprovinz zugehörig, kamen

seine Mitglieder zum ganz überwiegenden Teil aus Tirol und