An den „Kämpfen um Ehingen“ am Sonntag, den 22. April
1945, war auch eine Panzernahkampfkompanie der Hitler-
Jugend, insbesondere bei Berkach und an der Ulmer Straße,
beteiligt. Deren Mitglieder, ca. 120 15- bis 16-Jährige aus
Ulm und Umgebung, waren im Februar 1945 von ihrem
Ausbildungslager in Wiblingen nach Ehingen verlegt worden,
wo sie im Hopfenhaus untergebracht waren. Nach heutigem
Kenntnisstand haben sie im Raum Ehingen etwa 40 Mann,
darunter mindestens 5 Gefallene verloren.
Die Nacht blieb dann offenbar vergleichsweise ruhig.
Am frühen Morgen des
Montag, 23. April 1945
, setzten
dann Bemühungen von unterschiedlicher Seite und offenbar
ohne gegenseitige Kenntnis ein, die Stadt unter Vermeidung
weiteren Blutvergießens zu übergeben.
So ging Kaufmann Max Kauter (1892-1956) gegen 5 Uhr zur
Absatzgenossenschaft an der Einmündung der Münsinger
Straße in die Pfisterstraße, wo die vordersten Spitzen der
Amerikaner standen. Neben Feuerwehrleuten, die noch mit
Löscharbeiten am Haus Pfisterstr. 22, beschäftigt waren,
befand sich dort ein amerikanischer Posten, der Max Kauter
wegen mangelnder Sprachkenntnisse an einen unweit
stehenden Feldwebel verwies. Kauter ließ einen belgischen
Kriegsgefangenen herbeiholen, der dem Feldwebel zu
verstehen gab, dass Kauter kein Nationalsozialist sei und in
friedlicher Absicht komme. Darüber hinaus schickte Kauter
nach dem Studienrat Dr. Hermann Kienzle, der perfekt
englisch sprach, und gegen 6.15 Uhr erschien.
In Unkenntnis dieser Vorgänge und davon unabhängig,
machte sich der praktische Arzt Dr. Alfred Straub (1883-
1951) um ca. 5.30 Uhr von seinem Haus, Lindenstraße 68,
auf, um einen geeigneten Amtsträger zu Unterhandlungen mit
den Amerikanern zu veranlassen. Als er weder im Oberamt
im „Ritterhaus“, im Rathaus, noch bei der Kreisleitung der
NSDAP, die in der Oberschaffnei ihre Diensträume hatte,
jemand fand, ging er zusammen mit Dr. Ruhrmann, der als
Evakuierter in Ehingen lebte und über Englischkenntnisse
verfügte, zur Absatzgenossenschaft an der Münsinger
Straße. Nach einigem hin und her wurden sie zu einem
Offizier gebracht, der sich zunächst sehr abweisend gab
und auf die am Vortag gefallenen amerikanischen Soldaten
verwies. Dennoch bat Dr. Straub um die Einstellung der
Kampfhandlungen, worauf der Offizier forderte, dass kein
Schuss fallen dürfe, er, Straub, müsse dafür mit seiner
Person haften. In der ganzen Stadt sollten weiße Fahnen
gesetzt, die Fenster geschlossen gehalten, Wehrwölfe
entfernt werden. Weiterhin kündigte der Offizier an, dass er
um 9 Uhr mit seinen Panzern in die Stadt komme. Er werde
nicht schießen, wenn aber ein Schuss falle, zöge er sich
zurück und setze Artillerie ein.
Anschließend ging Dr. Straub zur Absatzgenossenschaft
zurück und teilte diese Anweisungen den dort befindlichen
Bürgern, unter denen sich auch Herr Kauter befand, mit. Um
weisungsgemäß die Übergabebedingungen auch der übrigen
Bürgerschaft bekannt zu machen, zogen anschließend Max
Kauter sowie der herbeigeholte Hausverwalter Karl Raizner
durch die Straßen der Stadt. Bei seiner Rückkehr gegen 8.30
Uhr traf Kauter in der Fabrikstraße Landrat Albert Bothner
(1889-1968) sowie Polizeimeister Fischer an. Bothner
bat Kauter ihn zum Kommandaten zu begleiten, dem sie
mitteilten, dass die zur Übergabe der Stadt gestellten
Bedingungen der Bevölkerung bekannt gemacht seien.
Von all diesen Vorgängen wusste Bürgermeister Dr. Hans
Henger (1886-1952) nichts. Er hatte die Nacht krank-
Museum und Historisches
heitshalber im Spital an der Spitalstraße verbracht und
machte sich um ca. 6.15 Uhr auf den Weg, um die Stadt zu
übergeben. Unterwegs erfuhr er, dass sich der amerikanische
Kommandant bei der Maschinenfabrik Fischer, an der
Münsinger Straße, aufhalte. Bei der Absatzgenossenschaft
traf er auf eine Menschengruppe, die ihn bestärkte, die
Stadt den Amerikanern zu übergeben. Dass es bereits
zuvor Kontakte zwischen Deutschen und Amerikanern
mit diesem Ziel gegeben hatte, wurde ihm offenbar nicht
mitgeteilt. Der gleichfalls kurz vorher von seiner Wohnung
an der Lindenstraße herbeigerufene Studienrat Dr. Hermann
Kienzle, erklärt sich bereit, als Dolmetscher mitzugehen. Zu
dritt, Dr. Henger, seine Frau, die eine weiße Fahne mitführte,
und Dr. Kienzle, wurden sie zum Kommandanten geführt.
Zunächst stellte Dr. Kienzle Bürgermeister Dr. Henger
vor und erklärte, dass dieser im Name und im Auftrag der
Bürgerschaft die Stadt übergeben wolle. Darauf gab der
Kommandant die Übergabebedingungen bekannt, von denen
die wichtigsten waren: Es dürfe kein Schuss mehr fallen
und beim Einzug der Fußtruppen müssten die Haustüren
geöffnet sein. Weiterhin sollten sich die Bewohner außerhalb
der Häuser aufhalten, deren Fenster geschlossen, die
Läden aber geöffnet sein. Jedes Haus sei mit einer weißen
Fahne zu versehen. Diese Bedingungen sollten schnellstens
bekannt gemacht und bis 2 Uhr nachmittags umgesetzt sein,
da um diese Zeit die Stadt durch Infanterie besetzt werde.
Wenn dies nicht der Fall sei, werde die Stadt mit Artillerie und
einer bereitgestellten Flugzeugstaffel zerstört. Abschließend
bemerkte der Kommandant, dass ein Dr. Straub schon da
gewesen sei.
Nach ihrer Rückkehr zur Absatzgenossenschaft berichteten
Dr. Henger und Dr. Kienzle den Anwesenden und forderten
diese auf, die erhaltenen Übergabebedingungen bekannt
zu machen. Auch jetzt erhielten Henger und Kienzle immer
noch keinen Hinweis, dass die Forderungen der Amerikaner
durch Andere bereits bekannt gemacht worden seien. Dr.
Henger und Dr. Kienzle eilten daher auf das Rathaus, um von
dort aus durch amtliche Organe die Übergabebedingungen
an die Bürgerschaft bekannt zu machen. Zwischenzeitlich
erreichte sie dann der Befehl des Kommandanten, Henger
solle sich umgehend wieder zu ihm begeben, worauf dieser
nun mit dem Auto von Dr. Straub, am Steuer dessen Tochter
Elisabeth Straub (1920-1977), begleitet von Dr. Kienzle
wieder zum Kommandanten fuhr. Dort eröffnete man ihnen,
dass entgegen dem ersten Befehl sich die Einwohner
beim Einmarsch der Truppen innerhalb ihrer Häuser,
bei geschlossenen Haustüren aufhalten sollten. Bei der
Rückfahrt blockierten dann bereits erste Truppeneinheiten
den direkten Weg zum Rathaus, so dass die Rückfahrt über
die Fabrikstraße erfolgen musste.
Der Einmarsch der Amerikaner geschah dann ab ca.
9.00 Uhr durch die untere Stadt unter dem Geläut der
Theodulglocke (Wetterglocke) vom Dachreiter auf dem Chor
der Stadtpfarrkirche. Glücklicherweise blieben Zwischenfälle
aus, so dass die offizielle Übergabe der Stadt auf dem
Rathaus durch Bürgermeister Dr. Henger reibungslos verlief.
Dieser selbst musste dann allerdings als eine der ersten
Maßnahmen der neuen Herren, seine Amtsenthebung
hinnehmen. An seine Stelle trat Max Kauter, der nicht Mitglied
bei der NSDAP gewesen war.
Nach wenigen Tagen zogen die amerikanischen Truppen
Richtung Ulm ab, um die vereinbarten Besatzungszonen
einzunehmen. Ehingen blieb zwei Tage ohne Besatzung,
bevor die Franzosen am 27. April an ihre Stelle traten.
108 Jahrbuch Ehingen 2015
Jahrbuch Ehingen 2015 109
Amerikanische Panzer beim Durchfahren der Donau unweit von Berg.
Geöffnete Panzersperre beim Hotel „Krone“ in der Bahnhofstraße.