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62 Jahrbuch Ehingen 2013

Jahrbuch Ehingen 2013 63

„nicht ein einziger Bogen zu salvieren [zu retten] gewesen“

.

Wie die heutigen Bestände des Stadtarchivs belegen, trifft

dies für die Urkundenüberlieferung nur zum Teil zu. Akten-

und Amtsbuchserien wie die Gemeinderatsprotokolle und

Stadtrechnungen wurden dagegen, von ganz wenigen

Ausnahmen abgesehen, vollständig vernichtet.

Durch denVerlust der Tagungsräume imRathausmussteman

nun für längere Zeit auf andere Räumlichkeiten ausweichen.

Plenarversammlungen der Schwäbisch-Österreichischen

Landstände fanden wohl in einem der größeren Gasthäuser

wie dem „Löwen“ statt. Der städtische Rat und die

städtischen Beamten dürften gleichfalls ein Ausweichquartier

oder ein Provisorium bezogen haben. Jedenfalls weisen

die Stadtrechnungen auch nach dem Katastrophenjahr

1688 immer wieder Ausgaben für das Rathaus und seine

Einrichtungen aus. Hinweise auf einzelne Räumlichkeiten

wie auf den Ratssaal oder eine kleine Ratsstube könnten

auch als Indiz dafür verstanden werden, dass die Brandruine

oder Teile von ihr wieder nutzbar gemacht wurden.

ERstE bEMühUNgEN zUM wiEdERAUfbAU

Durch die großen Zerstörungen, von denen zudem die

führenden Schichten der Stadt besonders betroffen waren -

sie nämlich waren es, die vornehmlich im zerstörten Bereich

um den Marktplatz wohnten -, wurde die Wirtschaftskraft

der Stadt nachhaltig beeinträchtigt. Jedenfalls war Ehingen

lange Jahre nicht in der Lage, ein neues Rathaus sowie die

Stadtkanzlei wieder aufzubauen.

Von Finanzschwierigkeiten zeugt auch eine Eingabe, die

das landständische Direktorium 1700 an die Regierung

in Innsbruck schickte, in der es um eine

„kaiserliche

Beysteuer und Gnadengab zur Restauration ihres durch

französische Invasion in Brand und Asche gelegten Rat- und

Canzleyhauses“

in Ehingen bat. Die Stadt werde hierzu allein

nicht fähig sein. Zudem baten sie um die Genehmigung, aus

der landständischen Kasse 6000 Gulden für diesen Zweck

abzweigen zu dürfen.

Es dauerte dann noch geraume Zeit, bis der Neubau

tatsächlich in Angriff genommen werden konnte. 1702 war

es soweit: am vorderen Eck zum Gasthaus

„zum Kreuz“

wurde ein Grundstein gelegt. Zimmermeister Jakob Braun

war es dann, der in der Folgezeit das

„Holzwerkh unter das

Tach gebracht“

hat, d. h. er zimmerte das Fachwerk ab und

konnte auch noch den Dachstuhl aufrichten und mit Ziegel

eindecken.

kRiEgsEREigNissE iN EhiNgEN

Dann aber geriet der weitere Bau durch die Auswirkungen des

Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714) erneut ins Stocken.

Bereits seit 1701 hatte die Bürgerschaft unter wechselnden

Einquartierungen sowie

„vast ohnerschwinglichen unter

Betrohung Schwerdts undt Brandts heraus gepressten

Contributionen […]“

zu leiden.

Trotz allem war der Bau aber soweit fertig gestellt, dass

zumindest eine eingeschränkte Nutzung zur Unterbringung

der zahlreichen einquartierten Soldaten möglich war. So

schlug etwa der kurbayerische General Graf Arco hier sein

Quartier auf. Und Ausgaben für Einrichtungsgegenstände wie

Öfen, einen Teppich, Geschirr, vor allem aber Lieferungen für

Wein und Bier dürften in diesem Zusammenhang zu sehen

sein.

Sicher dürfte auch sein, dass sich die städtischen Finanzen

durch die Kriegswirren kaum verbessert haben. Jedenfalls

waren weiterhin Ideen zur Geldbeschaffung auch für

den Rathausbau gefragt. So beschloss der Magistrat

im September 1710 das alte Collegium, den heutigen

Speth´schen Hof, der damals von Kanzleiverwalter Beimer

bewohnt wurde, der Frau von Speth in Untermarchtal zum

Kauf anzubieten. Als Erlös wurden 3000 Gulden erhofft, die

ausschließlich für den Rathausbau vorgesehen waren.

Im Januar 1713 erfolgte die Aufhebung des Pflegamtes, das

künftig der Rat der Stadt mitverwaltete. Auf diese Weise

wurde eine Bestimmung des Rezesses von 1680 umgesetzt.

Die bisherigen Aufwendungen für den Statthalter sollten für

den Wiederaufbau des Rathauses verwendet werden.

fERtigstEllUNg dEs NEUEN RAthAUsEs

Zwischenzeitlich war bereits der Neubau der Kanzlei

vorangetrieben worden, dessen Richtfest 1710 stattgefunden

hatte.

Nun Ende Februar 1713 ordnete der Rat an, dass auch für

den Rathausbau gleich nach Fasnacht mit dem Brechen

von Steinen und der Beschaffung anderer Baumaterialien

begonnen werden solle. Eventuell notwendige Gelder

sollten aufgenommen werden. Die Inspektion auf der

Baustelle übertrug man den beiden städtischen Baumeistern

Steinhammer und Menne.

Wie der städtische Kanzleischreiber Johann Müller berichtet,

konnte dann am 4. April 1713 in einer eindrucksvollen und von

vielen Bürgern beobachteten Zeremonie

„ahn dem hindern

Eckh gegen der so genanten Canzleystiegen“

, etwa einen

Schuh hoch über der Erde, unter Mitwirkung von Stadtpfarrer

Dekan Dr. Jakob Zinserling († 1713) ein zweiter Grundstein

gelegt werden. Eingemauert wurden zwei Gläser. Das eine

enthielt eine Anzahl geweihter Gegenstände, das andere eine

Pergamenturkunde. Letztere berichtete über den verzögerten

Bauablauf, über Kriegsbedrängnisse und benannte die

seinerzeitigen Amtsträger, nämlich Altbürgermeister Andreas

Eysel († 1752) und Franz Josef Kaiblin von Schlößlesmarkt

(† 1724), die Baumeister Bartholomäus Koch und Christoph

Volz. Weiter aufgeführt wurden der damalige Landesherr

Kaiser Karl VI. (1711-1740) und die in Ehingen amtierenden

Geistlichen. Nach der Grundsteinlegung fand ein feierlicher

Gottesdienst in St. Blasius statt.

Auch in der Folgezeit waren große Anstrengungen notwendig,

das zur Fertigstellung notwendige Geld zu beschaffen. Dazu

zog man auch verschiedene Pflegschaftsvermögen in der

Stadt heran. So legte der Rat fest, dass Leprosenpflege

St. Katharina 200 und die Liebfrauenpflege Allmendingen

100 Gulden

„ad interim“

beizutragen hätten. Und im Mai

erhielt Baumeister Steinhammer die Anweisung, in Ulm

oder wo immer möglich 2000 Gulden für dieses Vorhaben

aufzunehmen und ein früher beim Schultheiß von Berkach

aufgenommenes Darlehen zurück zu bezahlen. Im November

ordnete der Rat an, dass die drei großen Pflegschaften in der

Stadt je 50 Gulden zum Rathausbau beizutragen hätten.

Damit waren dann aber wohl die größten Anstrengungen

absolviert und der Umzug konnte realisiert werden. Am

12. Januar 1714 vermerkte der Ratsschreiber, dass an

diesem Tag die erste Sitzung im neuen Rathaus abgehalten

worden sei.

Freilich blieben in den kommenden Jahren noch manche

Ausbauarbeiten zu erledigen und Rechnungen zu begleichen.

wEihNAchtsAUsstEllUNg

Unter dem Titel „Textile Schätze aus dem Museumsmagazin“

standen vom Dezember 2012 bis März 2013 (Verlängerung)

in diesem Jahr Textilien unterschiedlichster Art und

Techniken, Mustervorlagen und Geräte, die bei der

Herstellung Verwendung fanden im Mittelpunkt der

Weihnachtsausstellung. Mit Beispielen von Textilien aus

verschiedenen Epochen wurde in sorgfältiger Kleinarbeit

eine Lichtstube eingerichtet. In den sogenannten Lichtstuben

der Bauernhäuser trafen sich in früheren Zeiten Menschen in

der dunklen Jahreszeit. Viele der ausgestellten Stücke sind

dort entstanden. Bettwäsche, Unterkleider, Nachthemden

und sonstige Wäschestücke, die zum Teil schon 100 und

mehr Jahre alt sind, waren in der Ausstellung ebenso zu

sehen, wie Spinnräder, Nähmaschinen, Bügeleisen oder

Strickmaschinen aus dieser Zeit.

Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte es

selbstverständlich zur Ausbildung der Mädchen dazu,

Handarbeitsfertigkeiten zu erlernen. Sie sollten später

Kleidung, Wäsche und sonstige Textilarbeiten selbst

herstellen und vor allem reparieren können.

Heute ist Handarbeit mit ihren verschiedenen Techniken

meist nur noch Hobby, das als Freizeitbeschäftigung und

zum Vergnügen ausgeübt wird. Große Textilgeschäftsketten

mit Massenware und Billigangeboten haben den selbst

hergestellten Eigenprodukten längst den Rang abgelaufen.

Auch der Beruf der Schneiderin und des Schneiders ist

weitgehend ein Opfer dieser Entwicklung geworden. Die

Ausstellung zeigte was an Können und Wissen bereits

verloren gegangen ist. Wer kann heute noch einen Socken

stopfen, geschweige denn ein Kleidungsstück selber nähen.